Mont Ventoux Ostroute, die Sanfte
(116 km, 2000 hm)

Wem die beiden harten Etappen über Bedoin (die Erbarmungslose) und über Malaucene (die Trügerische) auf den Mont Ventoux zu ambitioniert erscheinen, dem bleibt mit der Streckenführung über Sault eine Alternative, die den Eintritt in den Radfahrer-Himmel bei gemäßigter Quälerei verheißt. Die Sanfte, wie diese Variante genannt wird, besteht aus dem vergleichsweise erträglichen Anstieg von Sault bis zum Chalet Reynard und dem deutlich anstrengenderen Schlusspart zum Gipfel, den sie mit der Erbarmungslosen gemein hat.



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Trotz der relativen Sanftheit diese Route auf den Velolymp sollten Sie sie nicht unterschätzen, denn auch wenn sie den flachsten Anstieg auf den Mont Ventoux aufweist, der Berg selbst wird davon nicht niedriger: nach wie vor muss man auf eine Höhe von 1912 m gelangen und dazu müssen mehr als 1.600 m bergan gefahren werden.

Wohlan denn: mit ausreichend Flüssigkeit versorgt und mit einer wärmeren Jacke für die oberen Regionen versehen, starten wir– für meine Verhältnisse – recht früh (gegen 11 Uhr), damit wir die hohen Mittagstemperaturen in den Höhen des Mont Ventoux nutzen können. Wir wollen über die Nesque und Sault den Berg erklimmen und auf dem gleichen Weg heimkehren und so haben wir mehr als 100 km vor uns. Das mag den einen oder anderen abschrecken und dazu veranlassen, das Fahrrad mit dem Auto bis nach Sault zu bringen, um erst dort zu starten, doch hier und heute fühlen wir uns der Herausforderung gewachsen.

In aller Gemütlichkeit und ohne übertriebenem Ehrgeiz radeln wir die Gorges de la Nesque hinan und genießen die zu dieser Stunde noch vorhandene Frische der letzten Nacht. Jede Anstrengung an den Steigungen, die einen bis zum Bélvédère immerhin 450 m nach oben bringen, wird gemieden, denn die Kräfte sollen für spätere Herausforderungen geschont werden.

Nach dem Hochpunkt lassen wir uns deswegen auch gemütlich hinabrollen und bekommen trotzdem schnell so hohe Geschwindigkeiten, dass wir vor den Kurven abbremsen müssen. Hier öffnet sich nun der Blick auf die wunderschönen Weiten des Paye de Sault mit seinen berühmten Lavendelfeldern und dem lieblichen Dorfansichten von Orten wie Aurel, Montbrun oder natürlich Sault selbst. Wir reißen uns von dem Anblick los, um auf die beiden Straßenbuckel vor und hinter dem Ort Monieux gefasst zu sein und halten dann Ausschau nach der alten Lavendeldestillerie. Sie steht nur wenige hundert Meter hinter dem Ort und unmittelbar vor ihr geht ein schmaler, asphaltierter Weg rechts ab, den wir nehmen wollen. Er führt uns gleich darauf über einen schmalen Bach und danach biegen wir wieder links ab. Von hier an folgen wir dem Weg immer geradeaus. Er geleitet uns zwar hier und dort über einige unebene Stellen, doch fernab des Verkehrs und wunderbar zwischen den Lavendelfeldern hindurch und stets direkt auf Sault zu. Erst kurz vor dem Ort gelangen wir wieder auf eine Straße (D943), der wir über die nahe Brücke folgen und dann rechts hinan bis in den Ort hinein fahren. Die Steigung bereitet die Beine gut auf das vor, was nun nicht mehr lange auf sich warten lassen wird…

Immer der Straße folgend durchqueren wir Sault fast gänzlich, passieren dabei die links von uns gelegene Terrasse mit dem unter Radfahrern sehr beliebten Café und von dem aus im übrigen einen ungewöhnlichen Blick auf den Gipfel des heiligen Berges offeriert bekommt und fahren direkt danach auf ein Schild mit Pfeil nach links zum Mont Ventoux zu – nun wird es ernst!

Zwar beginnt die Route de Mont Ventoux mit einem starken Gefälle, doch statt sich darüber zu freuen, geht dem Radfahrer dabei lediglich durch den Kopf, dass man diese 50 bis 100 m gleich wieder hinaufarbeiten werden muss. Und das kommt nur allzu bald, denn das Gefälle geht direkt in eine Steigung über, die sich dann auf dem ersten Kilometer noch beständig steigert. Zwar wird sie an keiner Stelle wirklich gemein, doch hier unten stehen noch keine schattenspendenden Bäume und so pocht einem bei gutem Wetter schon mal das Blut auf der Schädeldecke gegen die Innenhaut des Helmes.

Gnädig erscheint es schließlich, dass man nach wenigen Kilometern in ein ausgedehntes Waldgebiet einfährt und man so hier und da der Sonne ausweichen kann, doch dafür wird die Steigung noch ein wenig steiler. Aber nicht entmutigen lassen, hören Sie in sich hinein und lassen Sie sich nicht von Freunden dazu hinreißen, an ihnen dran zu bleiben oder zu ihnen zurückzufallen. Suchen Sie ihr eigenes Tempo, den Rhythmus, der zu Ihrer Fitness und Ihrer Verfassung passt. Wirklich steil sind hier nur ganz wenige und kurze Abschnitte, dafür aber zieht sich die Strecke eine ganze Weile hin und ein Quentchen Kraft sollte man sich für die Etappe hinter dem Chalet Reynard aufsparen. Bis dahin sind es von Sault aus 20 km, doch nur bis etwa 1.200 m Höhe bleibt die Steigung mühsam. Auf ziemlich genau 1.000 m Höhe steht eine Kirche, wenn die passiert ist, dauert es nicht mehr lange, bis ein flacheres Zwischenstück zum Ausruhen ansteht. Hier lässt sich dann wirklich recht gemütlich radeln und man kann an einigen Stellen einen tollen Ausblick ins Land genießen, an anderen wird die Sicht auf die Geröllfelder in Richtung Gipfel frei.

Auch auf diesem flachen Stück begleiten einem noch die Bäume der Ventoux-Wälder, doch sobald man um die letzte Kurve fährt und mit einem Mal das Chalet Reynard vor sich sieht, präsentiert einem der Berg nur noch seine markante Haube aus weißem Geröll. Rund 1.400 m hoch befindet man sich nun, links von sich erspäht man die mehr oder weniger ermatteten Radfahrer, die sich die Erbarmungslose hinaufgearbeitet haben, weiter vorn, dort wo sich beide Straßen vereinen, dort beginnt das letzte Stück des Weges – das kräftezehrende Leiden.

Das Chalet Reynard nutzt fast jeder für eine kurze Rast – es lädt dazu ein, mit den heraufkommenden Radfahrern mitzufühlen, sich innerlich auf die bevorstehende Herausforderung vorzubereiten und sich vorzustellen, welche Gefühl es sein muss, wenn man sich wie die von oben kommenden Radfahrer von der Anstrengung befreit ins Gefälle stürzen kann. Wer hier noch seine Trinkflaschen auffüllen möchte, findet links neben dem Chalet eine Pumpe, die kaltes Wasser fördert, wenn man den unscheinbaren Knopf daran betätigt. Denjenigen, die sich für den Erfolg belohnen wollen, sei ein Blick auf die Rad-Kollektion im Restaurant empfohlen. Oft gibt es hier sehr ansprechende Trikots (ca. 55 €), Jacken, Socken mit schönen, natürlich auf den Mont Ventoux abgestimmten Motiven bzw. Aufschriften.

Irgendwann aber muss man sich dem letzten Stück des Weges stellen, denn nur wer das Simpson-Denkmal passiert und den Turm auf der Spitze des Berges erreicht hat, hat den Mont Ventoux tatsächlich bezwungen. Das, was nun auf den letzten 6 km zu leisten ist, stellt die bisherige Etappe deutlich in den Schatten, denn nun sind die flachsten Teilstücke noch immer so steil, dass der Puls kaum abfallen mag. Die steilen Passagen dagegen lassen die Oberschenkel brennen und so manches Mal muss man mit den Armen ziehend nachhelfen, um die Kurbel nach unten getreten zu bekommen – wohl dem, der keinen Rettungsring am Körper trägt und dessen Rad über eine leidenmindernde Übersetzung verfügt! Bei den ersten Anstiegen bilde ich mir jedes Mal ein, dass es gar nicht so schlimm sei, doch der immer wieder auftauchende, verdammte Turm auf dem Gipfel will und will nicht näher kommen und die Strecke wird länger und länger und – schlimmer noch – dabei nicht flacher. Es fühlt sich an, als ob einem die Kräfte direkt aus dem Körper herausgesogen würden, als blute man seine Leistung aus den Poren. Es zehrt unglaublich an einem und der Schweinehund im Hinterkopf verheißt einem Erholung, wenn man eine kurze Pause einlegt – nix da, glauben Sie ihm nicht! Halten Sie so lange durch, wie es nur geht! Irgendwann auf diesen sechs verdammten Kilometern muss ich immer innehalten, aber ich versuche diesen Zeitpunkt so weit wie möglich hinauszuzögen, und ich rate jedem, es genauso zu tun, denn haben Sie erst Ihren Rhythmus verloren, geht alles nur noch mühsamer vonstatten. Lieber fahre ich an einigen Stellen so langsam, dass das Rad beinahe zur Seite fällt oder baue mir meine eigenen Serpentinen über die gesamte Straßenbreite, als dass ich zu früh klein beigebe!

Wenn Gott die Provence erschaffen hat, dann war es der Teufel, der die Wege auf den Mont Ventoux geschlagen hat – niemand anderes kann so gemein sein und niemand anderes würde auf den letzten 300 Metern auch noch die Rampe mit der größten Steigung (immerhin 13 %) anlegen. „Je le deteste!“ Wahrlich, ich kann nicht behaupten, dass diese Route zu meinen Lieblingsetappen gehört, aber ab und an, da packt es mich und dann muss ich diesen Berg – oder mich selbst – besiegen, und glauben Sie mir, es ist mir jedes Mal ein Hochgenuss, diese verheißungsvolle Marke bei 1912 m endlich erreicht zu haben!

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